Milde und verständnisvoll schaut der heutige Generalkritiker Henry Burchardt (rechts) auf den „Revoluzzer“ der 1968er Jahre des vorigen Jahrhunderts (links). Wer in die Blickrichtung von rechts nach links Politisches hineininterpretiert liegt falsch. Zum Thema „links-rechts“ ein anderes Mal mehr.

Zwischen diesen beiden Fotos liegen ca. 50 Jahre des Grübelns und Durchdenkens wie das, was man gemeinhin Heimat nennt, bewertet werden kann. Dass sich in diesen 5 Jahrzehnten sehr vieles verändert hat, ist eine Binsenweisheit. Das positivste von allem in der Entwicklung nach 1945, meinem Geburtsjahr, ist geblieben: die Abwesenheit von Krieg in Deutschland. In den ersten 30 Jahren meines Lebens bot mir mein damaliger Wohnort Westberlin ein als privilegiert zu bezeichnendes Leben ohne Hunger, Elend, Reisebeschränkungen oder Wohnungsnot. Ich möchte nicht ungerecht sein. In manchem bin ich diesem „System Deutschland“ dankbar, dass es z. B. vielen von uns aus der Arbeiterklasse ein Studium ermöglichte. Und nicht zuletzt geht es vielen Teilen der Bevölkerung auch heute wirtschaftlich gut. Doch Weiteres an Lobenswertem erspare ich mir. Dass zu publizieren, überlasse ich denjenigen in Parteien und Medien, die sich dazu berufen fühlen unsere ach so „liberale“, „soziale“, „demokratische“, „gendergerechte“, „hochmoralische“ kapitalistische Gesellschaftsordnung fortwährend in ein positives Licht zu rücken. Jede und jeder kann sich von der „Kanzel“ des Bundestages und unseren jeweiligen Regierungen das Maß an Würdigung deutscher Politik abholen, welches er benötigt. Für überbordendes Deutschland-Lob fehlt mir das nötige Talent und der Wille.

Damit leite ich jetzt über zu einer kritischen Betrachtung der Entwicklung unserer Gesellschaft wie sie sich mir darstellte und noch darstellt. Ich betone, meine Sichtweise ist nur eine von vielen Möglichkeiten unser Deutschland zu analysieren und zu beschreiben. 1967: zwei Schüsse in Westberlin waren der Startschuss (böses Sprachspiel) und mitverantwortlich für meinen beginnenden Politisierungsprozess. Es waren nicht die Schüsse an der Mauer. Ich greife hier nur einige wenige Beispiele heraus, die aus mir, einem zuvor unpolitischen, einen sehr politischen Menschen formte:

  1. Bei einem Polizeieinsatz im Zusammenhang mit einer Demonstration am 2. Juni 1967 in Westberlin, tötete der damalige Kriminalobermeister Kurras den Studenten Benno Ohnesorg mit seiner Dienstwaffe durch einen gezielten Schuss in den Hinterkopf. Für diesen kaltblütigen Mord in einem Hinterhof ist Kurras als sogenannter Zivilfahnder niemals belangt worden.
  2. In den 1968er Jahren überschlugen sich die politischen Ereignisse in Westberlin. Niemand konnte dort eine neutrale Haltung gegenüber diesen einnehmen. Durch die Bild-Zeitung gegen die Außerparlamentarische Opposition (Apo) aufgeputscht, wurde am 11. April 1968 Rudi Dutschke, auf dem Kurfürstendamm durch drei Schüsse eines Attentäters schwer verletzt, an dessen Folgen er viele Jahre später verstarb. Er war damals weit über Westberlin hinaus der bekannteste Vertreter der Apo.
  3. Im gleichen Zeitrahmen entwickelten sich die größten Demonstrationen in Westberlin und weltweit gegen den durch nichts zu legitimierenden aggressiven Überfall der USA auf Vietnam. Erst warfen die USA als einzige Nation der Welt 1945 mehrere Atombomben auf die Zivilbevölkerung in Japan, dann setzten sie 1950 Chemiewaffen in Form von Napalmbomben gegen die koreanische Bevölkerung ein und schließlich 1967 in Vietnam zusätzlich zu Napalmbomben auch giftiges chemisches Entlaubungsmittel (Agent Orange) im großen Stil. Das brachte das sprichwörtliche „Fass zum Überlaufen“. In den Demonstrationszügen gegen die Kriegsführung der USA war rhythmisch abgehackt zu hören: „USA-SA-SS“. Zu dieser Zeit wurde nachvollziehbar die Politik der USA von sehr vielen Menschen mit dem deutschen faschistischen Terror gleichgesetzt. Die USA verloren weltweit schlagartig die Berechtigung als Friedensstifter oder Demokratiebeschützer angesehen zu werden. Weder die USA noch „ihre“ Nato wurden von vielen Deutschen mehr als Bündnispartner akzeptiert.
  4. „1968 fing der Planet Feuer”, formulierte der Grüne-Politiker Daniel Cohn-Bendit einmal treffend und bezeichnete damit eine politische und kulturelle Revolte, die nationale Grenzen sprengte. Die damalige Bewegung, die fast alle westlichen Staaten, Japan, USA und ganz besonders Westeuropa, erfasste, wurde als ein Symbol für den Aufbruch in eine bessere und gerechtere Welt angesehen. Sie erfasste auch mich. Diese Revolte war meine neue „Schule“ für ein beginnendes politisches Leben, nachdem ich 1968 als einer der jüngsten Bauingenieure in Westberlin die Hochschule verließ. Diese Revolte gegen den „westlichen“ Kapitalismus schloss auch gleichsam die Kritik gegen den „östlichen“ Sozialismus mit ein, der für die damalige Mehrheit in der Apo keine wünschenswerte Alternative bot.

Gegen diese 68er Protestbewegung reagierte der Staat mit besonderer Härte. So wurden Notstandsgesetze verabschiedet, die den Einsatz des Militärs gegen die Zivilbevölkerung im Inneren Deutschlands zuließ. Tausende Anhänger wurden vom Verfassungsschutz erfasst und erhielten Berufsverbot. Auch von mir gab es eine Akte beim Verfassungsschutz. Auch ich war vom Berufsverbot in Westberlin betroffen.

Zeitenwechsel. Heute, 50 Jahre später, gibt es nur noch wenig Spuren, die Rückschlüsse auf diese besondere Existenz einer großen Protestwelle in Deutschland erkennen lassen. Die nüchterne Bilanz dieser Apo wird von einigen Historikern so formuliert: Sie hat dazu beigetragen die Hochschulen zu demokratisieren, die Frauenemanzipation zu fördern und ist in Teilen in die Umweltbewegung aufgegangen. Ein Systemwechsel fand zwischendurch nur im damaligen Ostteil Deutschland statt. Statt einem gesamtdeutschen Systemwechsel finden wir heute wie 1968 vor:

Interessante Themen werden häufig auch ertränkt in einer Flut von Reklame und umstänlichen Bezahl- und Anmelde-Aufforderungen

Viele Themen dieser kleinen Auswahl kommen in den öffentlichen Diskussionen als Problem gar nicht mehr vor. Sie werden teilweise bewusst verschwiegen, beiläufig gestreift oder tauchen nur sporadisch in Wahlkampfmodus-Zeiten auf. Vor allen Dingen wird Systemkritik von den Politik-Verantwortlichen und ihren Medien entweder nicht erkannt, nicht gewollt, ignoriert oder systematisch tabuisiert. In einschlägigen Internetforen kann man nachlesen, dass LeserInnenbriefe und Kommentare systemkritischer Art in den Zeitungsmedien nicht abgedruckt werden. Das sind auch meine jahrelangen Erfahrungen und die gesellschaftskritischer Zeitgenossen. Es ist erstaunlich und erschreckend zugleich, dass eine Vielzahl an Tabu-Themen unseres angeblichen (ich wiederhole mich) „freiheitlichen“, „pluralistischen“, „multimedialen“, „neoliberalen“, „gendergerechten“, „multikulturellen“, „demokratischen“ und „weltoffenen“ Deutschlandsystems keine echte Chance bekommen, enttabuisiert und angemessen behandelt zu werden.

Ich erkenne mindestens drei unterschiedliche Reaktionsmuster auf diese Misere. Entweder man verbarrikadiert sich enttäuscht und teilnahmslos in sein Zuhause, schreibt Texte für ein Buch oder bewegt sich in einschlägigen Internetportalen. Ich habe mich für die beiden letzten Varianten entschieden. Und diese Entscheidung führte geradewegs zur Gründung dieses unabhängigen Forums generalkritik.de. In der Hoffnung, dass noch zahlreiche weitere mit unterschiedlichen Schwerpunkt-Themen entstehen und sich vernetzen, kann dass entstehen, was die werbefinanzierten Medien nicht können: Beiträge, Kommentare und Informationen zu liefern, die weder von der Werbebranche, den Parteien, den Kirchen und Religionsgemeinschaften oder einer ideologisch gebundenen Leserschaft abhängen.

Zu guter Letzt: Generalkritik.de könnte auch „der Aufschrei.de“ heißen. Generalkritik.de bedeutet ein Aufschrei all derjenigen, die Grundsätzliches am „System Deutschland“ und seinen Subsystemen (siehe linke Spalte auf der Homepage) zu bemängeln haben und dies zur Diskussion stellen wollen. Der in den Jahren aufgestaute Kritikberg hat eine Dimension angenommen, der mit ein bisschen Kritik hier und ein bisschen Kritik dort nicht annähernd abgebildet werden kann. Und manche Kritik in dem verästelten Mediengewusel geht mir häufig auch nicht weit genug und ist zudem noch kostenpflichtig.

Ich möchte das Privileg nutzen nahezu völlig unabhängig zu sein von: Parteien, Konfessionen, Arbeit- oder Geldgebern, Familien-Clans und ähnlichem. Freundinnen und Freunde, so meine Hoffnung, werde ich zukünftig auch nicht wegen abweichender politischer Meinung verlieren, zumal alle herzlichst eingeladen sind ihre ggf. andere Sichtweise und Kritik schriftlich in generalkritik.de veröffentlichen zu lassen. Und vielleicht gewinne ich sogar noch FreundInnen hinzu??