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„Militarisierung im Tarnanzug des Gewissens“

  • „Militarisierung“ meint den schleichenden Prozess, in dem militärisches Denken, Sprache und Handeln wieder gesellschaftlich akzeptiert oder sogar moralisch aufgewertet wird.

  • „im Tarnanzug des Gewissens“ ist ein doppeldeutiges Bild: „Tarnanzug“ steht für das Militärische, aber auch für das Verkleidete, das Maskierte. Und das „Gewissen“ symbolisiert Moral, Ethik, das Gute.

 

 

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Pastorin Käßmann: Kriegsdienstzwang und Atomraketen stoppen

Friedensfähig statt kriegstüchtig – Rede von Margot Käßmann

Rede auf der Friedenskundgebung in Stuttgart 3.102025*

Vielen Dank, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde.

Achtzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bewahrheitet sich, was die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann gesagt hat: „Die Geschichte lehrt andauernd, doch sie findet keine Schüler.“ Und so erleben wir fassungslos seit dreieinhalb Jahren eine schleichende Militarisierung unserer Gesellschaft.

Bundeskanzler Merz erklärt, wir befänden uns nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden. Außenminister Wadephul sagt, Russland werde immer unser Feind bleiben. Verteidigungsminister Pistorius fordert, wir müssten „kriegstüchtig“ werden – und avanciert damit zum beliebtesten Politiker des Landes. Roderich Kiesewetter will nun den „Spannungsfall“ ausrufen. So wird Kriegsangst geschürt und Kriegsstimmung erzeugt.

Wir aber – als Friedensbewegung in der Tradition von Wolfgang Borchert – sagen: Nein, nein, nein!

Wir brauchen keine Abschreckung, sondern Entspannungspolitik. Wir brauchen keine Hochrüstung mit hunderten Milliarden Euro für Waffen bei gleichzeitiger Kürzung von Sozialleistungen. Stattdessen brauchen wir Abrüstung, Verhandlungen und Diplomatie. Nicht Kriegstüchtigkeit ist unser Ziel, sondern Friedensfähigkeit.

1. Kriegsdienstzwang statt Wehrpflicht

Ich stehe hier als Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegnerinnen und -gegner. Bis zur Aussetzung der Wehrpflicht war ich einige Jahre Präsidentin der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer. Jetzt plant die Regierung eine stufenweise Wiedereinführung der Wehrpflicht. Doch schon der Begriff ist verharmlosend. Das Grundgesetz garantiert: Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Deshalb geht es nicht um Wehrpflicht, sondern um Kriegsdienstzwang.

Dieser Kriegsdienstzwang bedeutet nichts anderes als die Gefahr, Kanonenfutter zu werden. Es sind die Alten, die nun die Jungen verpflichten wollen, Dienst an der Waffe zu leisten. Und sie locken die jungen Menschen mit Geld, Ausbildung oder Führerschein. Das wird dazu führen, dass nicht alle gleichermaßen zur Bundeswehr gehen, sondern vor allem jene aus benachteiligten Familien.

Der Präsident des Reservistenverbandes hat kürzlich vorgerechnet: Im Falle eines Krieges mit Russland müsse mit täglich 5.000 toten Soldaten auf der eigenen Seite gerechnet werden. Das einzig sinnvolle Zeichen gegen diesen Wahnsinn ist die Kriegsdienstverweigerung. Die Beratungsstellen der DFG-VK und der Kirchen beraten euch dazu gerne.

Ich frage mich schon lange: Warum prüft unser Staat eigentlich das Gewissen derer, die den Kriegsdienst verweigern – aber nicht das Gewissen derer, die Kriegsdienst leisten wollen?

Wenn es um Wehrpflicht geht, dann ist die einzige Pflicht, sich dagegen zu wehren, Kriegsdienst leisten zu müssen. Das ist die wahre Pflicht.

Und ich will im Übrigen sagen: Wir treten dafür ein, dass junge Männer aus der Ukraine und aus Russland, die den Kriegsdienst verweigern, in Deutschland politisches Asyl erhalten. Wenn Menschenrechte gelten, dann müssen sie für alle gelten.

2. Christliche Verantwortung und Gewaltfreiheit

Ich stehe hier auch als Christin. Die Kirchen der Welt sind immer in die Irre gegangen, wenn sie Gewalt und Krieg legitimiert haben. Schon 1948 erklärten sie: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“ Das entspricht der biblischen Botschaft. Deshalb ist es für mich Gotteslästerung, wenn Patriarch Kyrill in Russland Waffen segnet. Jeder Mensch ist Gottes Ebenbild – und das gilt für Menschen jeden Glaubens.

Der brutale Überfall der Hamas auf Kinder, Frauen und Männer in Israel hat uns erschüttert. Jetzt sind wir schockiert über das Elend, das Israels Armee im Gazastreifen verursacht. Das muss sofort enden – und darf nicht durch deutsche Waffen unterstützt werden.

Aber auch das will ich klar sagen: Die Regierung Netanjahu ist nicht Israel, und Israel ist nicht das Judentum. Judenhass und Antisemitismus stehen im Widerspruch zur Friedensbewegung.

Und ich sage ebenso klar: Wer sich jetzt als „Friedenspartei“ geriert, aber Ausländerhass und Deportationsfantasien pflegt, der ist mit der Friedensbewegung unvereinbar.

3. Zukunft der Kinder – Zukunft des Friedens

Ich stehe hier auch als Großmutter von sieben Enkelkindern. Wenn ich an diese Kinder denke – an die Kinder in der Ukraine, in Russland, in Israel, in Gaza, im Kongo oder im Jemen –, dann weiß ich: Milliardeninvestitionen in Rüstung sind keine Investitionen in die Zukunft der Kinder.

Kinder brauchen keine Schnupperpraktika bei der Bundeswehr. Sie brauchen Friedenserziehung in den Schulen.

Die Zukunft der Kinder auf dieser Welt und in unserem Land wird nicht durch Rheinmetall gesichert. Die Aktie des Konzerns ist seit 2022 um sagenhafte 2.000 Prozent gestiegen – mit Rüstung wird viel Geld verdient. Aber die Zukunft der Kinder wird gesichert, wenn sie nicht in Armut aufwachsen, wenn sie Zugang zu Bildung haben. Ihre Zukunft wird nicht durch Atomwaffen gesichert, sondern durch deren Bann – durch Konzepte für friedliches Zusammenleben auf diesem Planeten.

Die Zukunft der Kinder braucht keine Kriegslogik. Sie braucht Friedenslogik. Denn nur so kann auch die Klimakatastrophe verhindert werden – ohne Krieg.

Schlusswort

Ich freue mich, heute hier zu sein. Manche haben mich gefragt, was ich als Kirchenfrau hier eigentlich wolle – ich würde doch gar nicht her passen. Ich finde, heute ist sichtbar geworden – auch in Berlin –, dass die Friedensbewegung sehr lebendig ist.

Wir alle werden ja gerne diffamiert: als „Putin-Versteher“, als naiv, wohlstandsverwöhnt, als Lumpen- oder Sofapazifisten. Wobei auch die, die die Rüstung befeuern, bequem auf dem Sofa sitzen – das sei nur am Rande erwähnt. Aber wir lassen uns nicht beirren. Immer mehr Menschen, das zeigt sich heute hier, sind bereit, sich öffentlich dagegen zu wehren, dass Deutschland durch Waffenlieferungen immer mehr zur Kriegspartei wird.

Wir wollen, dass unser Land sich starkmacht für Diplomatie, für Verhandlungen, für Friedenskonzepte. Wir wollen nicht kriegstüchtig werden – wir wollen friedensfähig werden. Danke.

*Rede von Margot Käßmann (rekonstruiert aus Transkript)

 

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