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Schwarmdummheit statt Schwarmintelligenz

Symbolisch steht hier die „wahnhafte“ aggressive Mitte (Frau Prof. Ulrike Guérot)

Deutscher Massenwahn – psychologischer Erklärungsversuch

Wir befinden uns am Ende jeglicher ernster politischer Diskussionen – warum?

Deutschland hat weniger ein Sicherheitsproblem als ein Wahrnehmungsproblem
– und das ist zurzeit weitaus gefährlicher.

Massenwahn Teil 2. Wer möchte ernsthaft mit jemandem diskutieren, der hinter jeder Ecke einen Geist, Teufel oder Feind vermutet, also unter Wahnvorstellungen leidet? Der „Massenwahn“ der Russland-Angst ist keine kollektive Verrücktheit, sondern eine kollektive Fehlkalibrierung von Wahrnehmung und Emotion in einem saturierten, sicherheitsverwöhnten Land wie das unsrige. Beim Thema Massenwahn kommen wir um die Anwendung einiger psychologischer Fachtermini nicht herum, die ansonsten auf generalkritik.de weitestgehend gemieden werden sollen – Entschuldigung dafür.

  1. Was meint Prof. Precht – und worin liegt der Kern seiner Kurzdiagnose?

Wie könnte man den von Prof. Precht kurz angerissenen Massenwahn (siehe Teil 1) in einem der sichersten Länder der Welt, der Angst vor Putin bzw. den Russen charakterisieren? Wie kann man  ihn einordnen und mit den psychologischen Erkenntnissen der Gehirnforschung zu persönlichen Wahnvorstellungen in Beziehung setzen?

Precht meint mit „Massenwahn“ sicherlich keinen kollektiven Irrsinn im klinischen Sinn, sondern ein gesellschaftlich synchronisiertes Angst- und Deutungsmuster, das sich selbst verstärkt.

Charakterisierung des Massenwahns

  • Übersteigerte Bedrohungswahrnehmung: Russland wird nicht mehr als ein Akteur unter vielen, sondern als fast mythisches „Böses“ wahrgenommen.
  • Entkopplung von Realität und Erleben: Die tatsächliche Wahrscheinlichkeit einer russischen Invasion Deutschlands liegt nahe null – dennoch fühlen sich viele „akut bedroht“.
  • Konformitätsdruck: Wer die Bedrohungsnarrative hinterfragt, gilt als „Putinversteher“ – die Angst wird so sozial stabilisiert.
  • Emotionale Ansteckung: Medien und Politik verstärken die Erregung durch Wiederholung, Dramatisierung und moralische Aufladung.
  • Ablehnung rationaler Konfliktlösungen: Wer – wie etwa Viktor Orbán – Verhandlungen fordert, wird politisch-moralisch ausgegrenzt.
  • Deutschland lebt in einer kollektiven Projektion von Bedrohung, während objektiv kaum eine besteht – es sei denn, es zettelt „seinen“ eigenen Krieg wie 1941 gegen Russland selbst an.
  1. Parallelen zur individuellen Psychopathologie

In der Psychologie ist eine Wahnvorstellung definiert als unerschütterliche, wirklichkeitsfremde Überzeugung, die gegen Gegenargumente immun ist. Neuropsychologisch betrachtet entsteht Wahn aus einer Fehlregulation des dopaminergen Belohnungs- und Aufmerksamkeits­systems: Das Gehirn überinterpretiert Signale – ordnet neutralen Reizen übermäßige Bedeutung zu („aberrant salience“). (Wer das Thema vertiefen möchte, findet fundierte Fachquellen unter *):

  • Medien und Politik liefern permanent Reize – Nachrichten, Bedrohungsszenarien, Bilder aus Kriegsgebieten.
  • Das kollektive Aufmerksamkeitssystem (öffentliches Bewusstsein) reagiert über eine Art „Hyperdopaminismus“ der Gesellschaft.
  • Das Ergebnis: Irrelevante oder entfernte Risiken erscheinen unmittelbar und bedrohlich, während reale, nähere Probleme (z. B. aggressive Mitte, Bildung, Demokratieabbau, pathologischer Militarismus, Sozial- und Rentensystem, Infrastruktur, innere Spaltung) ausgeblendet werden.
  1. Psychologische Dynamik
  • Angst ist sozial ansteckend. Neurowissenschaftlich: Spiegelneuronen und limbische Resonanzmechanismen übertragen emotionale Zustände. (Spiegelneuronen sorgen dafür, dass wir die Emotionen anderer unbewusst mitfühlen; limbische Resonanz überträgt Stimmungen wie Angst oder Empörung direkt von Mensch zu Mensch.)
  • Medien fungieren als Amygdala-Verstärker. Die Amygdala bewertet Situationen emotional, löst vegetative Reaktionen aus und ist vor allem für die Steuerung unserer Kampf-oder-Flucht-Reaktion bekannt. Sie hilft uns, Gefahren zu erkennen und schnell zu reagieren – und sie kann ganze Gesellschaften in Dauer-Alarmbereitschaft halten.
  • Kognitive Dissonanz-Reduktion: Wer Angst hat, sucht Begründungen dafür – und akzeptiert Narrative und Lügen, die sie „erklären“. Die z. B. größte Lüge in Deutschland kursiert unter der Behauptung „Putin hat europäische Eroberungsgelüste einmal formuliert“.
    So entsteht ein in sich geschlossener Deutungsrahmen, der sich rational kaum auflösen lässt.
  1. Fazit

Das Gehirn – individuell wie kollektiv – hält die permanente Erregung für Sinn. Feindbilder ersetzen Komplexität, Angst ersetzt Orientierung, und moralische Selbstvergewisserung ersetzt Nachdenken. So wird ein Land, das objektiv in Frieden lebt, subjektiv zum Krisenstaat.

Oder zugespitzt gesagt: Deutschland hat weniger ein Sicherheitsproblem als ein Wahrnehmungsproblem – und das ist weit gefährlicher.

 

*Fachliteratur:

https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/11275

https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/a-2389-7566

https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/

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