
Nachhaltigkeit ja ………. aber bitte erst nach Weihnachten

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Nachhaltigkeit ja ………. aber bitte erst nach Weihnachten

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Glosse
Es ist wieder so weit. Die mit Hochglanz, Lichterketten und moralischem Zwang überfrachtete Jahreszeit hat uns erreicht. Die Jahreszeit, in der Glanz und Zulächeln Pflicht sind und Zweifel stören.
Manche nennen sie „die geweihte Zeit“. Andere sagen schlicht: Weihnachten. Beides suggeriert Bedeutung. Beides hält einer nüchternen Betrachtung kaum stand. Es klingt nach Sinn, ist aber meist nur Geräusch.
Mit dieser Zeit wird alles Mögliche assoziiert: Frohe-Weihnachten-Pflichtkontakte, Besinnung, Geschenke, Entschleunigung, Stille, künstliche Freundlichkeit in den Geschäften, Familienzusammenkünfte, Friedfertigkeit auf Abruf und die Krippe aus dem Keller. Praktisch jedoch vor allem Termine, Konsum, soziale Pflichtübungen. Man fährt angeblich runter – während Braten, Erwartungen und moralischer Druck hochgefahren werden. Man wünscht „frohe Weihnachten“, egal ob es passt oder nicht. Freundlichkeit und Nähe wird simuliert.
Auffällig ist vor allem die Meldepflicht. Menschen, von denen man das ganze Jahr nichts hört, melden sich plötzlich mit Weihnachtskarten, Rundmails, standardisierten Grüßen oder Tannenzweig-Emojis. Nicht aus Nähe oder Beziehung, sondern aus Ritual oder Existenznachweis. Ich lebe noch. Ich denke an dich. Einmal im Jahr muss reichen, um soziale Existenz zu signalisieren. Danach wieder Funkstille.
Mich stimmen diese Tage nicht heiter, sondern nachdenklich und unerquicklich. Millionen Bäume werden gefällt, um wenige Tage lang als dekorierte Leichen in Wohnzimmern zu stehen – behängt mit Todes-Lametta und echten Kerzen, die ihr Austrocknen noch beschleunigen. Nach den Feiertagen landen sie am Straßenrand. Der Baum tot, der Sinn ebenfalls.
Es eskaliert der Konsum
Parallel dazu geraten Menschen in Kaufrauschzustände, als hinge ihr moralischer Wert auch vom Quadratmeter Geschenkpapier ab. Wälder werden dafür und für Geschenke-Kartons gerodet. Nach Weihnachten wachsen die Plastik-Himalayas, werden gepresst und nach Afrika verschifft – weil andere Weltregionen dankend abwinken.
Nachhaltigkeit? Aber bitte erst im Januar.
Manche Traditionen sind durchaus erquicklich. Wintersonnenwende zum Beispiel: ein kosmischer, etwas nüchterner, aber nachvollziehbarer Anlass ohne Erlösungsrhetorik. Aber warum muss daraus stets dieses christliche Gesamtspektakel aus Sentimentalität, Heilsversprechen und Schuldlogik und moralischer Selbstüberhöhung werden?
Übrigens, aus Sicht der Gläubigen muss Weihnachten sein, sonst funktioniert Ostern nicht, Tod ohne Geburt geht selbst in Religionen nicht.
Als Atheist steht man vor diesem Religionswust oft ratlos. Nicht aus Überheblichkeit, sondern aus Fassungslosigkeit. Im Jahr 2025 glauben ernsthaft noch Millionen Menschen an einen Gott, in dessen Namen über Jahrtausende hinweg Millionen andere Menschen verfolgt, gequält und ermordet wurden – und sind dabei nicht selten überzeugt, moralisch überlegen zu sein. Diese Mischung aus Gewissheit und Verdrängung ist keine Spiritualität, sie ist Pathologie.
Diese Tage rufen eine unerquicklich dichte Gefühlsmelange hervor: Müdigkeit, Traurigkeit, Wut, Fremdscham und Abwehr. Zu Weihnachten darf man auch öffentlich für Frieden sein. Außerhalb von Weihnachten ist man dann wieder verdächtig ……..ein Kreml-Fan oder Hamas-Anhänger.
Mir ist klar, Zweifel stören. Skepsis gilt als Stimmungssabotage. Bleibt nur ein stilles Stoßgebet – rein rhetorisch, versteht sich:
Lieber Gott, falls es dich gibt: Lass diese Weihnachtstage bitte schnell vorübergehen.